Bloß keinen Konflikt!

DIE ZEIT, von Ulrich Jordan, 8. November 2018

Zu viele Führungskräfte scheuen sich davor, ihre Mitarbeiter offen zu kritisieren. Davon hat niemand etwas.

Lange schon wird ein Märchen erzählt über die deutsche Arbeitswelt. Es ist die Geschichte des harten Vorgesetzten. Jemand, der seinen Mitarbeitern zu hohe Ziele setzt, bei Nichterreichung brutal dazwischengrätscht und bei Fehlern knallhart mit Konsequenzen droht. Solche Führungskräfte gibt es. Sie unterstützen ihre Leute nicht, reagieren cholerisch und sorgen dafür, dass engagierte Mitarbeiter sich einen anderen Job suchen. Diese Manager sind fehl am Platz.

Die Mehrheit der Chefs hat aber ein ganz anderes Defizit: Sie vermeiden faires, konstruktives und zeitnahes Feedback. Es ist ihnen unangenehm, und sie befürchten, dass Mitarbeiter heftig reagieren könnten. Was wäre, wenn der andere sich verletzt fühlt, in Tränen ausbricht, aus dem Raum stürmt? Nach dem Betriebsrat ruft? Oder schlimmer – die Kritik einfach nicht akzeptiert? Vorgesetzte haben oft keine wirklich belastbare Verbindung zu den Menschen im Büro und trauen sich nicht, die unzureichende Qualität oder die verpassten Deadlines anzusprechen. Folglich können Mitarbeiter nur ahnen, ob sie im Soll liegen.

In den Beurteilungsbögen deutscher Organisationen findet man zu viele positive Leistungseinschätzungen. Im Fall der Kündigung fehlen dann die seit Jahren angeblich sichtbaren Defizite. Und an vergangene Gespräche erinnern sich Chefs und Mitarbeiter unterschiedlich. Erstere versichern, die Schwächen angesprochen zu haben, Letztere sagen, es habe keine klare Aussage gegeben.
Ich musste mal eine Geschäftseinheit mit mehreren Hundert Mitarbeitern schließen. Die Verluste waren zu hoch geworden. Während der Betriebsversammlung zur Stilllegung fragte eine Mitarbeiterin: »Warum haben Sie uns nicht über die bedrohliche Situation informiert? Wir hätten gemeinsam vielleicht eine Lösung finden können.«

Die Frau hatte recht. Aus Sorge, die Belegschaft zu beunruhigen, hatte es kein klares Feedback gegeben.

Kaum einer kritisiert die Leute gerne, nur wenige Manager haben es gelernt. Doch Feedbacks zeigen Mitarbeitern, dass Chefs deren Arbeit sehen und sich mit ihr auseinandersetzen. Das allein isteine Form der Wertschätzung. Zudem ermöglichen die Rückmeldungen es erst, die eigene Leistung zu verbessern und sich weiterzuentwickeln. Was also ist zu tun?

1. Gebot des Führens:
Kritische Rückmeldung zu geben gehört einfach dazu

Erstens: Kritische Rückmeldung zu geben gehört zur Führungsaufgabe. Punkt.

Zweitens: Feedback soll den Mitarbeiter dabei unterstützen, Dinge in Zukunft besser zu machen. Was also nicht geht: den eigenen Ärger über nicht erfüllte Erwartungen loszuwerden. Es ist der Job des Chefs, konkrete Hilfe bei der Lösung von Problemen zu geben.

Drittens: Die Rückmeldung muss zeitnah erfolgen. Ich kenne eine Organisation, in der viele Vorgesetzte die Kritik an ihren Mitarbeitern sammeln und im jährlichen Beurteilungsgespräch vorbringen. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie frustrierend es für Mitarbeiter ist, mit einem Fehler konfrontiert zu werden, den sie vor sieben Monaten begangen haben. Zeitnah heißt deshalb: am selben Tag! Und wenn man sich sehr geärgert hat, eine Nacht drüber schlafen. Mehr nicht. Der Einwand, dafür habe man keine Zeit, zieht nicht. Viele dieser informellen Rückmeldungen brauchen nicht mehr als drei bis vier Minuten.

Viertens: Konkret muss es sein. Das Center for Creative Leadership hat dazu eine Methode entwickelt: Situation, Verhalten, Auswirkung. Die Situation, die man gesehen hat, das Verhalten, das man erlebt hat, und die Auswirkung, die man beobachtet hat. Ein Feedback könnte so lauten: »Im Meeting gerade (Situation) hast du auf den Einwand von Kollegin X geantwortet, er sei nicht relevant (Verhalten). Deshalb sagten die anderen Teilnehmer kaum noch etwas (Auswirkung).«

Und fünftens: Rückmeldung sollte umkehrbar sein. Um gut zu führen, ist es wichtig, dass Führungskräfte konstruktive Kritik geben und erhalten. Die Führungskraft muss um den Input bitten und erklären, wie wichtig konstruktive Kritik dabei ist, ein besserer Chef zu werden. Es hilft, wenn man über eigene Fehler spricht und es ehrlich meint.

Manager sind nur so gut wie ihre Mitarbeiter. Ohne sie geht nichts. Ihre Leistungsdefizite fordernd und fördernd anzugehen ermöglicht erst die gewünschte Verbesserung. Je früher dies passiert, umso besser. Konflikte zu vermeiden führt zu größeren Konflikten. Es ist Aufgabe von Vorgesetzten, ihren Mitarbeitern unbequeme Wahrheiten zu sagen. Auf eine aufbauende Art und Weise. Nur dann bewegen sich Organisationen nach vorne, nur dann können sich Mitarbeiter weiterentwickeln.

Ulrich Jordan, früher Personalchef Deutschland bei der Citibank (heute Targobank), coacht Manager

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