Hinter der Schokoladenseite
Human Resources Manager, 19. Juni 2012
„Erzählen Sie mal etwas über sich" – so sollte kein Vorstellungsgespräch anfangen. Unternehmensberater und ehemaliger Personalvorstand der Targobank Ulrich Jordan erzählt, wovon sich Personaler im Job-Interview leiten lassen sollten und wie sie den Menschen hinter dem Kandidaten erkennen.
Herr Jordan, was ist Ihrer Meinung nach die unsinnigste Frage, die ein Personaler einem Bewerber im Einstellungsinterview stellen kann?
Es ist heute leider noch immer so, dass die meisten Personaler keine wirklich professionelle Ausbildung zum Thema Einstellungsinterview erhalten haben. Deshalb ist die Liste der unsinnigen Fragen ziemlich lang. Eine, die zeigt, dass sich ein Personaler gar nicht vorbereitet und auch keinen roten Faden für das Gespräch vor Augen hat, ist die Aufforderung: "Erzählen Sie mal etwas über sich."
Sie haben selbst über 5000 Interviews geführt und durchaus den einen oder anderen Fehler gemacht – wie Sie selbst sagen. Was sind denn so die häufigsten Fehler, die auf Seiten der Führungskräfte oder Personalmanager im Rahmen eines Einstellungsinterviews gemacht werden?
Studien zeigen, dass für viele Interviewer der erste Eindruck entscheidend ist – Körpersprache, Stimme, Kleidung, Augenkontakt und vieles mehr. Der entsteht in den ersten 15 Sekunden und hat meist nicht viel mit dem Anforderungsprofil zu tun. Bei ungeschulten Interviewern entsteht dann häufig eine selbsterfüllende Prophezeiung, sich in den verbleibenden 59 Minuten und 45 Sekunden diesen ersten Eindruck bestätigen zu lassen. Vielen Personalern und Führungskräften fehlt eine klare Interviewstruktur. Sie lassen sich von den Antworten des Kandidaten lenken und stellen nicht allen Kandidaten dieselben Fragen. Das macht einen Vergleich bei der Entscheidung sehr schwierig.
Machen es sich viele Personaler zu einfach?
Es wird häufig unterschätzt, wie effektiv sich Kandidaten in Einstellungsinterviews präsentieren können und wie sie die Realitäten ihres Lebenslaufes an das sozial Erwünschte anpassen. Dann fällt die Entscheidung für den eloquenten, nicht unbedingt für den kompetenten Kandidaten. Hier müssen Interviewer sicherstellen, dass sie so lange nachfragen, bis sie wirklich verstanden haben, was die Stärken und Entwicklungsfelder ihres Gegenübers sind.
In Ihrem Buch heißt es, dass rund 46 Prozent aller neuen Mitarbeiter in den ersten anderthalb Jahren scheitern und damit ja zum Teil Fehlbesetzungen sind. Wie sollten sich HR-Verantwortliche auf die Bewerbungsgespräche vorbereiten, um es besser zu machen?
Wenn man sich heute die Anforderungsprofile anschaut, die die Grundlage der Kandidatensuche darstellen, werden da fast immer die Ausbildung, das Studium und notwendige Kenntnisse aufgeführt. Was fehlt, sind die Dinge, die wirklich über den Erfolg entscheiden: Welche Herausforderungen muss die Kandidatin bereits schon erfolgreich gemeistert haben? Welche Krisen sollte sie schon mal überwunden haben? Wie lernt sie und wie arbeitet sie mit anderen zusammen? Als Personaler sollten uns die ungeschriebenen Gesetze unserer Organisation bewusst sein. Wie passt der Kandidat dazu? Und das wichtigste aus meiner Sicht: Wir müssen uns als Interviewer unserer "Hot Buttons" bewusst sein. Welches Verhalten bei anderen ärgert oder begeistert uns? Das ist uns nicht immer bewusst, entscheidet aber in hohem Maße, wen wir einstellen und wen wir nicht einstellen.
Kann man denn sagen, je wichtiger die Position, desto professioneller wird das Gespräch geführt?
Ich befürchte, eher das Gegenteil ist der Fall. Erfolgreiche Führungskräfte neigen dazu, ihre Fähigkeit, andere einzuschätzen, zu überschätzen. Und je höher Sie in der Hierarchie kommen, desto größer wird die schauspielerische Fähigkeit Ihres Gegenübers. Hier ist es also ganz besonders wichtig, ein professionelles Interview zu führen und Antworten zu hinterfragen.
Und wie lockt man die Bewerber aus der Reserve, dass sie aus sich herausgehen und beispielsweise einen authentischen Eindruck zu ihren Stärken und Schwächen vermitteln oder zu ihrer Motivationslage?
Ein Einstellungsgespräch ist ein Ritual. Der Kandidat zeigt sich von seiner Schokoladenseite, der Interviewer muss dahinter schauen. Das wird er nur schaffen, in dem er das Gespräch in einer freundlichen, zugewandten Weise führt. Alle Menschen sprechen gerne über ihre Erfolge, sind aber zurückhaltender, wenn es um ihre Entwicklungsfelder geht. Je angespannter sie das Interview erleben, desto vorsichtiger werden sie agieren.
Wie gelingt in einem Bewerbungsgespräch eine angenehme Atmosphäre?
Die besten Erfahrungen habe ich mit einer freundlichen Körpersprache gemacht. Wenn ich den Augenkontakt halte, manchmal unterstützend nicke – gerade dann wenn der Kandidat von einer schwierigen Situation spricht – wenn ich auch mal einen ermunternden Kommentar abgebe – "ja, das kann ich gut verstehen..."– dann sorgt das für ein hohes Maß an Offenheit bei meinem Gegenüber.
Welchen Tipp können Sie abschließend Bewerbern geben, um auch aus deren Sicht möglichst erfolgreich ein Einstellungsgespräch zu meistern?
Wer sich gut vorbereitet, hat gute Chancen. Welche sind meine drei bis vier größten Stärken, die für die Aufgabe relevant sind? Wie kann ich sie überzeugend und ohne zu übertreiben dem Personalchef vermitteln? Welche Entwicklungsfelder habe ich und welche möchte ich meinem Gegenüber preisgeben? Was tue ich, um in diesen Feldern besser zu werden? Genauso wichtig ist, dass ich mich über das Unternehmen informiere, bei dem ich mich vorstelle. Welche Werte werden da beispielsweise gelebt? Wie arbeitet man dort zusammen? Welche Art von Führung wird praktiziert? Wenn ich auf diese Fragen Antworten gefunden habe, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass meine Bewerbung zum Erfolg führt.
© Helios Media GmbH