Kenne dich selbst!

Business Reporter, September 2013

Viele Personaler und Führungskräfte lassen sich bei Bewerberinterviews von ihrer persönlichen Intuition treiben. Das geht oft schief. Fehlbesetzungen vor allem im Management kosten die Unternehmen ein Vermögen, sagt Führungskräftecoach Ulrich Jordan im Gespräch mit Dr. Martin Roos. Was hilft, sind ein strukturiertes Recruitinggespräch, die richtigen Fragen und weniger Self-Cloning.

Herr Jordan, Sie sagen, dass sich zu viele Personaler bei Einstellungsgesprächen von ihrer persönlichen Intuition treiben lassen. Bei etwa 30 bis 40 Prozent der Einstellungen gehe das schief. Wieso?

Die meisten Personalchefs und fast alle Führungskräfte sind für Einstellungsentscheidungen nicht geschult. Deshalb ersetzen sie Struktur, Vorbereitung und einen professionellen Fragenkatalog durch Intuition. Sie entscheiden sich unbewusst schon nach drei Minuten, ob sie jemanden einstellen oder nicht.

Wieso machen die das?

Weil es viel einfacher ist, sich von Sympathie und Antipathie leiten zu lassen als diszipliniert und mit viel Vorbereitung herauszufinden, ob der Kandidat der richtige ist.

Aber die Stellen sind doch klar ausgeschrieben.
Wo liegt das Problem?

Die Stellen für Führungskräfte sind nicht klar ausgeschrieben. Sie bestehen häufig aus vielen Allgemeinplätzen. Das Problem ist folgendes: Man muss genau wissen, welche Fähigkeiten und Kompetenzen über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Wenn der Personaler das nicht weiß, wird es ihm sehr schwerfallen, im Einstellungsgespräch herauszufinden, ob der Kandidat qualifiziert ist. Was kosten diese Fehlbesetzungen die unternehmen? Bei Führungspositionen mindestens das Drei- bis Vierfache eines Jahresgehalts.

Wie kommen Sie zu dieser Zahl?

Neben den Abfindungszahlungen und den Kosten für die Einstellung einer neuen Führungskraft gibt es erhebliche Verluste in der Produktivität der Mitarbeiter. Diese entstehen, weil die Aufgaben nicht klar verteilt sind, die Frustration enorm ist und die Arbeit, die notwendig ist, nicht erledigt wird.

Sie werfen den Führungskräften Self-cloning vor.
Wie ist das zu verhindern?

Die meisten suchen nicht den besten Kandidaten für die neue Stelle aus, sondern jemanden, der ihnen ähnlich ist. Das ist zwar menschlich, aber nicht effektiv. Man braucht im Team verschiedene Charaktere, um das beste Ergebnis zu erzielen.

Das zu lernen, kann doch nicht so schwer sein.
Woran scheitern Manager überhaupt?

Viele ziehen aus wichtigen Situationen in ihrem Berufsleben nicht die richtigen Schlüsse. Manche erkennen die wichtigen Situationen erst gar nicht. Sie lernen einfach nicht aus ihren Misserfolgen. Auch Feedback nehmen sie nicht ernst oder reagieren nicht darauf, sondern wiederholen ihre Fehler immer wieder. Manager scheitern in den wenigsten Fällen an fehlender Kompetenz, sondern fast immer an ihrem Verhalten.

Wie sollte die Atmosphäre im Einstellungsgespräch sein?

Freundlich, zugewandt und auf Augenhöhe. Und das bedeutet in letzter Konsequenz: Wenn ein Manager einen Kandidaten nach dessen Stärken und Schwächen befragt, müsste er ebenfalls bereit sein, offen über seine eigenen Stärken und Schwächen zu sprechen. Das passiert heute aber noch lange nicht. Sehr gute Kandidaten mit Potenzial fordern diese Offenheit immer mehr ein.

Welche Chancen müssen die Kandidaten bekommen?

Es ist wichtig, ihnen Fragen zu stellen, die ihnen zum einen die Chance geben, sich gut zu präsentieren, und die zum anderen darüber Auskunft geben, inwieweit sie die Anforderungen an die ausgeschriebene Stelle erfüllen. Die Kandidaten sollten von ihren Erfolgen erzählen können, von den Herausforderungen, die sie gemeistert und von den Erkenntnissen, die sie gemacht haben. Der Gesprächsanteil der Kandidaten sollte etwa 80 Prozent betragen.

Ulrich Jordans fünf Tipps für Recruiter

  1. Jeder sollte ein klares Anforderungsprofil haben, das genau beschreibt, welche drei bis vier Schlüsselkompetenzen für die Aufgabe gebraucht werden.
  2. Man benötigt einen gut durchdachten Fragenkatalog, den alle Kandidaten im Gespräch beantworten müssen.
  3. Die Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten darf nicht unbewusst und vorschnell im Einstellungsgespräch getroffen werden, sondern erst nach Abwägung aller Argumente nach dem Gespräch.
  4. Kenne dich selbst – nur wer weiß, was einen positiv oder negativ beeindruckt, kann verhindern, dass er sich überwiegend nach Sympathie oder Antipathie entscheidet.
  5. Schulen Sie Ihre Personaler und Führungskräfte, denn die Einstellungsentscheidung ist mit die wichtigste in Ihrem Unternehmen!

Ulrich Jordan arbeitete für die Citibank fünf Jahre als Personalchef Europa in Brüssel und neun Jahre als Personalvorstand der deutschen Citibank, später Targobank, in Düsseldorf.

Seit 2011 ist er Inhaber der Jordan-Consulting-Gruppe in Dortmund mit Schwerpunkt Führungskräftecoaching und -entwicklung. Er hat in seinem Berufsleben bisher etwa 5.000 Einstellungsinterviews geführt. Im Dezember 2011 erschien im Springer-Verlag sein Buch „Das erfolgreiche Einstellungsinterview“.

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