Vom Zocken würde ich abraten

Karriere.de - Das Portal von Handelsblatt und Wirtschaftswoche, April 2012

Wenn Mitarbeiter kündigen, ist das manches Mal wie ein Schlag ins Gesicht des Arbeitgebers – dann nämlich wenn Beschäftigte mit besonderen Aufgaben, Fachkräfte mit Spezialwissen oder Führungskräfte das Unternehmen verlassen wollen. In Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels machen Personaler den Wechselwilligen immer häufiger Gegenangebote. Sollten Mitarbeiter jetzt zugreifen, ihre Forderungen höher schrauben oder lieber bei ihrer getroffenen Entscheidung bleiben? HR-Berater Ulrich Jordan, Ex-Personalvorstand der Targobank, sagt, worauf es ankommt.

Bei Gegenangeboten reagieren Mitarbeiter, die den Arbeitgeber wechseln wollen, verstärkt positiv: Rund ein Drittel lässt sich zum Bleiben bewegen, hat eine aktuelle Studie des Personaldienstleisters Robert Half herausgefunden. Deswegen nutzen Unternehmen diese Angebote zunehmend auch als Instrument der Personalbindung.

Wann sollte sich ein Mitarbeiter darauf einlassen?

Zunächst einmal wird er sich überlegen müssen, was ihn zur Kündigung veranlasst hat: Waren es die Arbeitsplatzbedingungen, die Verdienstmöglichkeiten, die Unternehmenskultur? Und: Hat er seine Probleme überhaupt schon mal adressiert? Falls nicht, bietet ein Gegenangebot des Unternehmens sicher die Gelegenheit dazu. Geht es nur um die finanzielle Seite, kann ein Gegenangebot sehr attraktiv sein.

Stehen aber andere Probleme im Vordergrund, die die Unternehmensphilosophie oder -strategie betreffen, die Arbeitszeit oder Chefs, die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern vermissen lassen, ist es für den Mitarbeiter sicher besser, an seinem Entschluss festzuhalten. Denn solche Probleme lassen sich nicht ad hoc beseitigen und werden die Unzufriedenheit noch weiter steigern.

Beim Gehalt könnte der Mitarbeiter jetzt aber pokern?

Vorsicht! Er sollte sich natürlich darüber im Klaren sein, dass ein Gegenangebot eine schwere Hürde für den Arbeitgeber ist, der durch die Kündigung auch eine Verletzung erfahren hat. Natürlich ist das Gegenangebot als eine Form der Wiedergutmachung zu verstehen.

Aber eine Basargeschichte sollte es dann doch nicht werden.

Ein höheres Gehalt ist ja meistens mit besseren Karrieremöglichkeiten verbunden. Was kann der Mitarbeiter fordern?

Ist der Mitarbeiter beispielsweise der Meinung, dass ein anderer eine Chance bekommen hat, die er selber gerne wahrgenommen hätte, kann er das äußern und danach fragen, welchen nächsten Schritt er im Unternehmen gehen könnte, welche Verantwortung ihm übertragen wird und mit welchem finanziellen Paket das verknüpft sein könnte.

Das wird der Arbeitgeber verstehen und bestimmt auch entsprechende Vorschläge machen. Denn ein weiteres Mal will er sich nicht die Blöße geben, um erneut via Kündigung korrigiert zu werden.

Welche weiteren Überlegungen könnten einen Mitarbeiter zum Bleiben überzeugen?

Je eindeutiger und je monokausaler der Kündigungsgrund ist, desto eher wird das Unternehmen mit seinem Gegenangebot erfolgreich sein können. Aber wie schon gesagt: Hängt es am schwierigen Chef, an der grundsätzlichen Unternehmensstrategie oder vielleicht auch am Ort, der die Work-Life-Balance gefährdet, weil der Mitarbeiter zu anstrengende Arbeitswege in Kauf nehmen muss – dann sollte der wechselwillige Mitarbeiter sich auch nicht von einem höheren Gehalt locken lassen.

Denn er muss mit all diesen Unannehmlichkeiten weiter in seinem Arbeitsleben klar kommen.

Mitarbeiter könnten ihr Wissen, dass Unternehmen häufig mit Gegenangeboten auf Kündigungen reagieren, doch auch strategisch nutzen, um schneller Karriere zu machen oder um mehr zu verdienen?

Damit können sie aber auch böse auf die Nase fallen. Die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Arbeitskräfte kann doch sehr verschieden sein. Vom Zocken würde ich also abraten. Denn am Ende bleibt das Gegenangebot aus – und dann?

Ulrich Jordan ist Inhaber von Jordan-Consulting in Dortmund. Er ist Lehrbeauftragter der Ruhr Universität Bochum und der Quadriga Hochschule Berlin. Zuvor bekleidete er jahrelang HR-Führungspositionen bei Bayer, 3M und der Citibank/später Targobank, zuletzt als Personalvorstand.