Kommandos statt Kumpanei
Wenn aus Mitarbeitern Chefs werden

business-wissen.de, 16. Oktober 2012

Vom Mitarbeiter zum Chef ist wohl einer der schwierigsten Karrieresprünge: plötzlich Anweisungen an die ehemaligen Kollegen geben, Strategien festlegen, Entscheidungen durchsetzen. Doch wie soll sich der neue Vorgesetzte gegenüber seinen Ex-Kollegen verhalten? Wir haben dazu unter anderem Führungskräftecoach Ulrich Jordan befragt.

„Nicht alles wird per se gleich zu Gold"

„Einfach machen", sagt hingegen Ulrich Jordan, ehemaliger Personalvorstand der Targobank und heute Führungskräftecoach und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Jordan Consulting. Im Interview* mit business-wissen.de erklärt er unter anderem, warum „kollegial" oder „autoritär" zu eng gefasste Schubladen-Begriffe sind, die mit der Führungsrealität wenig zu tun haben:

Herr Jordan, gestern noch Kollege, heute Chef. Worauf kommt es in den ersten Tagen in der neuen Rolle besonders an?

Im Wesentlichen geht es um zwei Dinge: Zum einen ändert sich die Beziehung zu den ehemaligen Kollegen. Deshalb ist es wichtig, mit jedem zu sprechen und zu klären: Was erwartest du als Mitarbeiter von mir und was erwarte ich als Chef von dir? Beim zweiten Punkt geht es um inhaltliche Aspekte, denn die neue Führungskraft hat in aller Regel eine Vorstellung davon, was sich ändern soll. Es geht dabei darum, in Gesprächen mit den Mitarbeitern die Ziele zu benennen und mitzuteilen, wie diese erreicht werden sollen. Daneben ist es aber auch wichtig, sie einzubeziehen und zu fragen, welche Vorstellungen sie selbst haben.

Wer aus dem Kollegenkreis zum Vorgesetzten befördert wird, weiß viel über die alten Mitstreiter und auch über deren Arbeitsweise. Kann das problematisch werden und falls ja, was lässt sich dagegen tun?

Mir ging es einmal so, als ich bei der Citibank zum Europa-Personalchef ernannt wurde. Da gab es einen Kollegen, der dachte, dieser Job hätte eigentlich an ihn gehen sollen. In einer solchen Konstellation empfiehlt es sich, das Gespräch mit dem „Unterlegenen" zu suchen. Dabei muss es darum gehen, Verständnis für die Enttäuschung zu zeigen, aber auch unmissverständlich klar zu machen, dass die Entscheidung nun mal gefallen ist und jetzt beide Seiten zusammenarbeiten müssen, um zu Ergebnissen zu gelangen. Ist der Kollege dazu nicht bereit, ist er an einem anderen Arbeitsplatz im Unternehmen möglicherweise besser aufgehoben.

Andererseits ist es aber doch klar, dass sich der neue Chef viel mehr selbst Gedanken macht als seine ehemaligen Kollegen. Die sind oft sogar froh, dass einer aus ihren Reihen ihr Vorgesetzter wird, weil sie ihn kennen. Außerdem kennen die neuen Führungskräfte oft selbst nur zu gut ihre eigenen Defizite, was das Führen anbelangt, und hier gibt es ja auch Hilfsangebote von Seiten der Unternehmen. Entscheidend ist aber immer: Der neue Chef muss bereit sein für eine offene Kommunikation, auch wenn es einen oder mehrere Neider gibt, die gerne an seiner Stelle wären. Sollten diese nicht mit ihm zusammenarbeiten wollen und auf Dauer beleidigt sein, ist das nicht akzeptabel.

Welche Rolle spielt die Unternehmensleitung bei einem solchen Führungswechsel und wie kann sie dabei unterstützen?

Sie muss der Mitarbeitermannschaft vermitteln, warum die Entscheidung so getroffen wurde und warum es eine gute Entscheidung war. Dadurch wird die neue Führungskraft gestärkt und ihre Entwicklung angestoßen, etwa wenn es um Dinge wie das Führen von Mitarbeitern geht. Ich habe das zu meiner Zeit so praktiziert, dass ich mich ein Mal pro Woche für rund eine Stunde mit dem jeweils neuen Chef zusammengesetzt habe, um zu erfahren, wo der Schuh drückt.

Unterschiedliche Ansichten gibt es auch bezüglich des Führungsstils, den der neue Chef praktizieren soll. Was würden Sie ihm empfehlen?

Das Wichtigste ist doch, dass der neue Chef selbst wissen muss, wie er führen will. Häufig wird von einem kollegialen Führungsstil gesprochen, doch was heißt denn eigentlich kollegial? Dass der Chef einer von allen ist? Das entspricht nicht der Realität! Der „primus inter pares" schon eher, das heißt derjenige, der in einer Mannschaft das Sagen hat. Die plakativen Begriff wie kollegial oder autoritär sind da eher Ausdruck eines Schubladendenkens. Der Neue muss es einfach ausprobieren, einfach anfangen, so, wie es sich für ihn als richtig anfühlt. Manchmal fällt man dabei auf die Schnauze, ja, aber so ist eben das Leben. Wichtig ist, daraus zu lernen. Der neue Chef kann nicht per se erwarten, dass alles zu Gold wird, was er anpackt. Er muss nur reflektieren, was er tun möchte. Leider praktizieren das nur sehr wenige.

Es gibt Karriereberater, die lehnen eine Besetzung von Führungspositionen mit Mitarbeitern aus dem eigenen Unternehmen ab. Das Argument: Beide Parteien kennen jeweils die Schwäche der anderen. Was halten Sie davon?

Eine solche Argumentation hat mit der Realität in Unternehmen nicht das Geringste zu tun! Es ist gängige Praxis überall auf der Welt, dass ungefähr 60 bis 70 Prozent der neuen Chefs aus den eigenen Reihen rekrutiert werden. Die Unternehmen leben schließlich davon, Know-how von innen heraus zu nutzen. Die können doch nicht für jede Position auf Externe zurückgreifen.

Wie Sie bereits erwähnten, ging es Ihnen auch einmal selbst so, als Sie zum Europa-Personalchef eines Kreditinstituts befördert wurden. Wie ging es Ihnen damit?

Im Rahmen dieser Beförderung war ich von heute auf morgen für rund 23.000 Mitarbeiter verantwortlich. Da müssen Sie vor allem Demut vor der Situation zeigen. Überheblichkeit nach dem Motto „ich bin der Größte" führt in eine Sackgasse. Was ich tat, waren drei Dinge: Zunächst baute ich mir ein Netzwerk zu wichtigen Stakeholdern auf, denn ohne gute Kontakte wird es schwer. Dann ging es darum Ziele zu setzen und festzulegen, bis wann diese wie erreicht werden sollen. Bedeutend war auch der Versuch, möglichst schnell Erfolge zu erzielen, und zwar nicht solche, die die Welt verändern, sondern so genannte „low hanging fruit". Dinge also, die verändert werden müssen, bei denen das jedoch nicht allzu schwierig ist. Zum Schluss ging es mir darum, von meinen eigenen Mitarbeitern und Vorgesetzten ausreichend Feedback über mich zu erhalten. Ohne eine solche Kommunikation wird es nämlich für jede Führungskraft schwierig.

Herr Jordan, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

*Das Interview führte business-wissen.de-Redakteur David Wolf.

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