Woran scheitern Manager?

Selten liegt es an mangelnder Leistung. Die Psychologie stellt den Chefs ein Bein

DIE ZEIT, Forum von Ulrich Jordan, 17. September 2015

Jürgen Großmann von RWE, Peter Löscher von Siemens, Thomas Middelhoff von Arcandor – diese Namen kennen die meisten, die sich in Deutschland für Wirtschaftsthemen interessieren. Sie alle sind nach anfänglichen Erfolgen als Vorstandsvorsitzende am Ende gescheitert. Bei Middelhoff war es lange vorher absehbar, bei Großmann und Löscher erst kurz davor. Jedenfalls wenn man dem Glauben schenkt, was in den Medien berichtet wurde.

Über »Nieten in Nadelstreifen« (ein Buchtitel von 1992) wird seit Langem gern berichtet. Fast ausschließlich allerdings von Journalisten, die selbst nie in einem Unternehmen Verantwortung getragen haben. Und die, auch bei gründlicher Recherche, immer nur Teile eines höchst komplexen Prozesses beschreiben können, an dessen Ende jemand seine Position aufgeben muss.

Woran liegt es, dass ehemals vielversprechende, intelligente und erfahrene Führungskräfte scheitern? Es gibt dafür eine Reihe von Ursachen. Hier nenne ich einige, die das Center for Creative Leadership in den USA untersucht hat und die ich als Personalmanager und Berater erlebt und gesehen habe.

Der offensichtlichste Grund ist leicht zu verstehen: mangelhafte Leistung. Fußballtrainer werden gefeuert, wenn sie ihre Mannschaft nicht auf die gewünschten Tabellenplätze bringen, und TV-Moderatoren abgelöst, wenn sie nicht die erwarteten Einschaltquoten erzielen. Bei Managern geht es um Kosten, Umsätze und Gewinne. Sie müssen gehen, wenn diese Kennzahlen über einen Zeitraum, der von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sein kann, nicht stimmen. Nicht selten passiert das bei Führungskräften, denen man einmal Potenzial zuerkannt hat. Auch deshalb kann es dauern, bis in manchen Unternehmen die Reißleine gezogen wird. Jobwechsel alle zwei Jahre, ständig wechselnde Vorgesetzte und sich ändernde Prioritäten können die Ursache dafür sein, dass nicht früher gehandelt wird.

Ich kenne einen sehr intelligenten Marketingmanager. Er ist analytisch ungemein stark, kann überzeugend präsentieren. Aber die vereinbarten Ziele hat er auf verschiedenen Positionen nicht erreicht. Bis die Verantwortlichen das erkannt hatten, waren fünf Jahre vergangen. Heute ist der Mann als Berater unterwegs – und das durchaus erfolgreich, weil er nicht mehr für die Umsetzung zuständig ist.

Ein weiterer Grund des Scheiterns liegt oftmals in schlechten Arbeitsbeziehungen. »Er ist eitel«, »verschlossen«, »er hört nicht zu«, »ist unzuverlässig«, »verliert leicht die Nerven«, »ist nicht Teil des Teams« – so werden Führungskräfte, die um sich herum viel Schaden anrichten, von Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten beschrieben. Mit solchen Menschen nimmt man nur Kontakt auf, wenn es gar nicht anders geht. Das bedeutet zugleich: Ohne sie ist eine Organisation stärker als mit ihnen. Dennoch dauert es auch hier fast immer zu lange, bis die Unternehmensleitung interveniert. Zudem gibt es Organisationen, in denen dysfunktionales Führungsverhalten so lange toleriert wird, wie die Ergebnisse stimmen. Diesen Managern wird häufig kein Feedback zu ihrem Verhalten gegeben, weil man solchen schwierigen Gesprächen gerne aus dem Weg geht.

Die Ursache des Scheiterns kann auch in einer eingeschränkten Lernfähigkeit liegen. Selbst wenn sie konstruktive Kritik bekommen, schaffen es manche Manager nicht, aus ihren Erfolgen und ihren Misserfolgen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Damit laufen sie Gefahr, dass sie ihre Fehler wiederholen.

»Ich kann mich nicht verbiegen.« – »Ich will meine Ecken und Kanten nicht verlieren.« – »Ich möchte authentisch bleiben.« So oder ähnlich formulieren Führungskräfte, die nicht lernen wollen. Sie weigern sich auch deshalb, weil es nicht selten wehtut, liebgewonnene Werte und Verhaltensweisen infrage zu stellen und zu
verändern.

Ich habe Manager kennengelernt, die selbst angesichts einer möglichen Kündigung durch ihren Vorgesetzten nicht bereit waren, konsequenter zu planen, klarer zu
kommunizieren oder zugewandter mit ihren Mitarbeitern umzugehen. Selbst als Unterstützung angeboten wurde. Schuld waren die anderen – unfähige Mitarbeiter,
intrigante Kollegen, inkompetente Chefs. Die Verantwortung für das eigene Verhalten wollten sie nicht übernehmen.

Ein anderes Problem liegt in der Unfähigkeit, Mitarbeiter zu führen und zu einem Team zusammenzubringen. In Deutschland wie in anderen Ländern wird heute mehr als früher in die Entwicklung von Führungskräften investiert. Dennoch hat sich das Führungsverhalten nach meiner Einschätzung nicht wirklich verbessert. Die Ergebnisse der Gallup-Engagement-Studie aus dem Jahr 2014 zeigen, dass nur etwa 15 Prozent der Mitarbeiter in deutschen Unternehmen emotional stark an ihre Organisation gebunden sind, 15 Prozent haben innerlich bereits gekündigt und 70 Prozent sind gering gebunden und machen laut Gallup Dienst nach Vorschrift.

Auch dafür ist oft das Verhalten der Führungskräfte verantwortlich. Sie haben kein wirkliches Interesse an den eigenen Mitarbeitern, sie sind unfähig, diesen zuzuhören, ihnen fehlen Offenheit und Verbindlichkeit in der eigenen Kommunikation, sie fordern und fördern nicht genug, sie geben wenig konstruktives, faires Feedback und kaum tatkräftige Unterstützung oder Anerkennung für erbrachte Leistungen, sie weichen Konflikten aus und schaffen kein Wirgefühl. Die Aufzählung
schlechter Verhaltensweisen ließe sich fortsetzen. Mitarbeiterbefragungen können solche Probleme aufzeigen.

Die Erwartungen an Chefs sind hoch. Freundlich, einbeziehend, unterstützend, verständnisvoll, fair und hochkompetent sollen sie sein. In der Realität sind sie zumeist wie jeder andere Mensch auch. Sie haben nicht unbegrenzt Zeit, verfügen nicht über ein enzyklopädisches Wissen, haben keine übersinnliche Wahrnehmung und
sind fehlbar. Dennoch bemühen sich manche Mitarbeiter nicht besonders, mit ihren Vorgesetzten gut klarzukommen.

Statt darüber nachzudenken, wie sie ihren Chef unterstützen können, wie ein Geben und Nehmen aussehen kann, ärgern sie sich: über eine unpassende Bemerkung, zu viel Kontrolle, unklare Aufträge oder ungeduldige Nachfragen. Und anstatt dies in geeigneter Form anzusprechen, reagieren sie schon mal passiv aggressiv. »Wenn Sie meinen, Chef, dann muss es wohl so sein ...« Konflikte entstehen. Sie sind Teil des normalen Lebens. Nur wenn sie nicht angegangen werden, kann es am Ende zu einer Versetzung oder Trennung kommen.

Wie können Führungskräfte verhindern, dass sie scheitern? Emotionale Intelligenz hilft enorm. Der amerikanische Psychologe Daniel Goleman hat diesen Begriff Mitte der neunziger Jahre weiterentwickelt. Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien, die belegen, dass Manager mit EQ erfolgreicher sind als die, die allein auf ihren IQ setzen. Emotionale Intelligenz besteht aus fünf Elementen:

  1. Selbstreflexion: die Fähigkeit, die eigenen Stärken und Schwächen, Bedürfnisse und Werte realistisch einzuschätzen. Manager mit guter Selbstreflexion suchen konstruktives Feedback von anderen – auch und gerade von ihren Mitarbeitern. Sie sind ehrlich mit sich selbst und müssen anderen nichts vormachen.
  2. Selbstmanagement: nicht zum Gefangenen der eigenen Gefühle werden, sondern auch bei Frustrationen oder Ärger konstruktiv bleiben. Studien zeigen, dass Mitarbeiter von Führungskräften, die häufig gute Laune haben, produktiver sind als andere.
  3. Motivation: Manager mit einer hohen Motivation stellen hohe Anforderungen. In erster Linie an sich selbst, erst dann an ihre Teams. Sie entwickeln eine wirkliche Hingabe für das, was sie tun. Und sie bleiben auch in Zeiten großer Herausforderungen zuversichtlich.
  4. Empathie: die Empfindungen anderer verstehen, auch wenn sie nicht ausgesprochen werden. Dazu gehört, sich wirklich für andere zu interessieren. Fragen stellen, zuhören, verstehen, was gemeint ist.
  5. Bindung: Beziehungen so gestalten, dass belastbare Verbindungen entstehen, Konflikte gelöst und Kompromisse gefunden werden.

 

Ulrich Jordan ist Unternehmensberater. Zuvor war er Personalvorstand der Citibank in Deutschland, die heute Targobank heißt