Wer trickst heute nicht?

managerSeminare, Heft 170, Mai 2012

Große Gesten, falsche Titel, leere Worte – Blender ersetzen Können und Ergebnisse durch Ausstrahlung und die Inszenierung von Erfolg. Damit kommen sie erstaunlich weit, bis in Positionen, in denen sie erheblichen Schaden anrichten können. Sie zu entlarven, ist jedoch schwer. Denn Blender ist nicht gleich Blender.

Preview: >Blendende Bewerber: Warum Eigenlob zum Erfolg führt >SchönerSchein: Warum Kompetenzlügner schwer zu erkennen sind >Extreme Blender: Welche Psycho-Tricks Hochstapler nutzen >Haltlose Versprechen: Wenn Blender sich selbst blenden >Schmaler Grat: Warum jeder ein Blender ist – oder sogar sein muss >Verfängliche Fakten: Wie man Schaumschläger entlarvt >Zweifelhafte Sicherheit: Wie sich Unternehmen vor Blendern schützen

Stille Arbeitsbienen mögen den Laden zusammenhalten. Karriere machen andere. Eine hervorragende Arbeit, von der niemand erfährt, nützt dem Fortkommen wenig, nicht umsonst drehen sich Karrieretipps um eine offensive Selbstpräsentation: Man solle sich eine Bühne verschaffen, heißt es, seine Stärken und Leistungen betonen, Erfolge für sich reklamieren. Klappern gehört zum Handwerk. Self-Branding nennt man das oder, schicker, Sichtbarkeit.

„Selbstdarstellung spielt eine immer größere Rolle im Arbeitsleben“, sagt Sabine Siegl, Beraterin von WM-Consult aus Berlin und Präsidentin des Berufsverbandes Deutscher Psychologen (BDP). Das gilt umso mehr, je undurchsichtiger wird, was genau Manager, Kreative und andere Wissensarbeiter überhaupt machen. Input entkoppelt sich zunehmend vom Output. Flache Hierarchien, Teamarbeit und eine immer komplexere und zunehmend selbst organisierte Arbeit führen dazu, dass die Leistung Einzelner kaum noch objektiv messbar ist. Umso wichtiger wird für die Auswahl und Beurteilung von Mitarbeitern, wie leistungsfähig sie wirken. Für Siegl bedeutet das eine Fokusverschiebung: „Für die Karriere ist das richtige Auftreten vielleicht noch wichtiger als die Kompetenz.“ Erfolgreich ist, wer erfolgreich wirkt.

Die Konjunktur des Scheins hat einen Haken: Sie erhöht die Karrierechancen guter Selbstdarsteller unabhängig davon, ob sie fähig sind oder nicht. Blender haben es so leicht wie nie, Kompetenzen karrierefördernd zu inszenieren, die sie nicht oder nicht im angegebenen Umfang besitzen. Mit Ausstrahlung und großen Gesten, mit eloquenten Nullaussagen und den äußeren Zeichen des Erfolgs schaffen Blender es bis in Führungsetagen, wo sie mangels Kompetenz falsche Entscheidungen treffen und so Teams oder ganzen Unternehmen großen Schaden zufügen können. Entlarvt werden sie aber oft erst, wenn es zu spät ist. Aber lassen sich Blender überhaupt im Voraus erkennen?

Blendende Bewerber

Die wichtigste Bastion gegen Blender ist das Bewerbungsverfahren – oder sollte es sein. Doch das Kernelement der Personalauswahl wird zunehmend zum Schaulaufen schöner und geschönter Selbstdarstellungen. Wissenschaftler schätzen, dass 30 bis 50 Prozent aller Bewerber in ihren Bewerbungsunterlagen falsche Angaben machen: „Häufig wird dabei die eigene Leistung beschönigt, Fehler weggelassen oder die Leistung anderer für sich selbst in Anspruch genommen", sagt Matthias Ziegler, Professor für Psychologische Diagnostik, der dieses „Faking" an der Humboldt-Universität Berlin erforscht.

Das Problem verschärft sich, je höher der zu vergebende Posten angesiedelt ist: „Je weiter oben in der Hierarchie, desto verbreiteter sind schauspielerisches Talent und die Fähigkeit, sich positiv darzustellen", sagt Ulrich Jordan, Geschäftsführer von Jordan Consulting in Dortmund und ehemaliger Personalvorstand der Targobank, der gerade ein Buch über Bewerbungsgespräche veröffentlicht hat (s. Kasten S. 42). Gleichzeitig sind gehobene Posten zunehmend kommunikationslastig, tatsächliche Qualifikationen müssen nicht jederzeit praktisch nachgewiesen werden, ergänzt Rechtsassessor Paul H. Malberg von der Wirtschaftsdetektei Proof-Management in Oberhausen. Ein ideales Terrain für Blender.

Eigenlob stinkt nicht

Geschummelt wird nicht nur bei den sogenannten Eigenschilderungen – beliebte Lügen sind etwa soziales Engagement oder Teamfähigkeit suggerierende Mannschaftssportarten –, sondern auch bei den Referenzen: „Das reicht bis zur Urkundenfälschung, etwa bei Examensnoten oder Arbeitszeugnissen", so Jurist Malberg, der eine Zunahme solcher Betrugsversuche wahrnimmt. Nicht zuletzt, weil Unternehmen sie förmlich dazu einladen: Viele verzichten selbst auf eine oberflächliche Überprüfung der Bewerber. Dem Beratungsunternehmen Deloitte zufolge führt nur jedes achte Unternehmen einen sogenannten Pre-Employment-Check durch, nur fünf Prozent kontrollieren routinemäßig die Referenzen der Bewerber. Ein Drittel verlangt nicht einmal Originaldokumente von Jobkandidaten. Hauptgrund ist die zunehmende Knappheit geeigneter Kandidaten: Die Suche nach Fach- und Nachwuchskräften setzt Personalentscheider so unter Druck, dass für aufwendige Prüfungen keine Zeit bleibt.

Hinzu kommt: Sie, die eigentlich Schaumschläger aussortieren sollen, sind selbst empfänglich für vorteilhafte Selbstinszenierungen – viel mehr als für ehrliche Zurückhaltung. Wie sehr, zeigen Studien: So hat die Freie Universität Berlin herausgefunden, dass sich Männer bei der Bewerbung auf Toppositionen deshalb häufig gegen gleich qualifizierte Frauen durchsetzen, weil sie im Schnitt länger und ungenierter über ihre Stärken reden. Im Vergleich mit ihren zum Tiefstapeln neigenden Konkurrentinnen wirken sie kompetenter – weil sie sich so präsentieren. Sprachwissenschaftler der Universität Passau kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Männer reden demnach quasiobjektiv über ihre Stärken, als ob sie eine Tatsache berichten, während Frauen tendenziell eine subjektive Ansicht formulieren. Ein „ich kann" spricht aber eher als ein „ich glaube" die Muster an, die Personalverantwortliche mit Erfolg verbinden – auch wenn damit nichts über die tatsächliche Kompetenz gesagt ist.

Kompetenzlügner entlarven

Kompetenzen und Qualitäten aufzubauschen oder vorzutäuschen ist nicht nichts anderes als eine Lüge, die sich nicht immer, aber häufig selbst verrät. Fünf Warnsignale, die Personalverantwortliche misstrauisch machen sollten:

  1. Verhaltensänderung: Weicht das Verhalten des vermeintlichen Lügners plötzlich vom Normalverhalten ab? Im Gespräch sollten Führungskräfte zunächst die sogenannte Baseline – also ein generell ruhiges, nervöses, ernstes oder lautes Verhalten – feststellen, und auf Veränderungen achten.
  2. Emotionen: Tritt beim vermeintlichen Lügner eine der drei Emotionen Angst, Schuld oder Freude unerwarteterweise auf? Die Gefühle könnten für schlechtes Gewissen oder Vergnügen über gelungene Täuschungsmanöver sprechen.
  3. Disharmonien: Gibt es Unstimmigkeiten? Eine Mimik, die nicht zu dem Gesagten passt, oder ein künstlicher Gesichtsausdruck, etwa ein falsches Lächeln, sind ebenfalls Warnsignale der Unwahrheit. Wichtig sind auch Mikro-Ausdrücke, die für kurze Zeit die wahren Gedanken des Gegenübers zeigen.
  4. Stress: Erkennen Sie Stress beim vermeintlichen Lügner? Merkmale sind zum Beispiel eine hohe Stimmeoder verzögertes Sprechen mit Pausen, Wiederholungen und längerem Nachdenken. Körperliche Stresssymptome sind zum Beispiel häufiges Blinzeln oder Rituale wie das wiederholte Richten der Sitzposition.
  5. Verhaltenskontrolle: Ist der vermeintliche Lügner ungewöhnlich steif? Verhaltenskontrolle kann ein Indiz sein für mangelnde Authentizität. Eine hölzerne Körpersprache und detailarme Erzählungen könnten darauf hinweisen, dass der Gesprächspartner extrem darauf achtet, sich nicht zu verraten.

Quelle: Jack Nasher

Blender ist nicht gleich Blender

Was der Kompetenzlüge, der Vortäuschung von Fähigkeiten, weiter Vorschub leistet, ist die natürliche Leichtgläubigkeit der Menschen. Allzu bereit sind wir, für bare Münze zu nehmen, was man uns sagt, glaubt Jack Nasher, Professor für Leadership & Organizational Behaviour an der Munich Business School: „Um Kompetenz vorzutäuschen, muss man nicht besonders gut lügen", so der Wirtschaftspsychologe und Jurist. „Wenn jemand von sich behauptet, dass er ein hervorragender Golfer ist, glauben wir ihm. Warum auch nicht?"

Blender zu erkennen ist auch deshalb so schwer, weil das „Täterprofil" unklar ist. Denn den Blender gibt es nicht, betont Nasher. Vielmehr unterscheiden sich die Bluffer nach Intensitität, Motivation und Ausprägung ihrer Fassadenverschönerung. Das macht es nahezu unmöglich, bestimmte Blendermerkmale zu nennen, die eine Identifikation erleichtern. Klischeehafte Vorstellungen von Blendern – Statussymbole, falsches Lachen, lautes Gebaren – erweisen sich dabei als nutzlos. Wer Blender entlarven will, muss erst einmal wissen, welche Arten es gibt.

Eine Extremform sind die Hochstapler: Bei ihnen ersetzt die Darstellung nahezu vollständig den Inhalt. Sie setzen ganz bewusst und vorsätzlich auf die Vortäuschung von Qualitäten und Kompetenzen. Ein Beispiel aus der Hamburger High-Society- Welt der 80er-Jahre zeigt, wie weit man mit einer bloßen Behauptung kommen kann.