Wer trickst heute nicht?

managerSeminare, Heft 170, Mai 2012

Die Beispiele zeigen: Die Bewertung – und damit der Unterschied zwischen Blender und Visionär – hängt nicht zuletzt am Erfolg. Aber sie stehen auch stellvertretend für einen Blendertyp, der sich massiv selbst überschätzt. Und der auf allen Hierarchieebenen zu finden ist. „Solche Blender kümmern sich nicht um Methoden oder Details, und sie neigen zu Übertreibungen", beschreibt Siegl die Kennzeichen der Büro-Bluffer. Sie neigen häufig zu Allmachtsfantasien und erweise sich als lernresistent. Aber sie reißen auch mit. In gewisser Weise machen Blender sogar vieles richtig, sagt Beraterin: „Sie erzählen zum Beispiel Gleichnisse und inspirieren ihre Zuhörer eher, als sie mit drögen Details zu überfordern. Sie versuchen, Leute hinter sich bringen, zu überzeugen, zu begeistern."

Schmaler Grat: Blender oder Leader

Insofern ist es kein Zufall, dass viele Eigenschaften blendender Selbstdarsteller auch zu den Suchanforderungen an Führungskräfte gehören: „Erfolgreiche Führungskräfte sind häufig extrovertiert, verfügen über rhetorisches Geschick und können sich selbstbewusst geben", erklärt Jordan. „Sich verkaufen können, ohne Hemmschwellen auf Menschen zugehen können – das wird vor allem auf höheren Hierarchiestufen erwartet." Führen erfordert es, blenden zu können: „Naturgemäß hat man mit steigender hierarchischer Position immer mehr mit dem Großen und Ganzen zu tun – und immer weniger Ahnung von Details", erläutert Leadership-Experte Nasher. Gleichzeitig ist es in höheren Positionen besonders wichtig, jederzeit kompetent und sicher zu wirken. Führungskräfte müssen Vertrauen erzeugen und Ruhe ausstrahlen, auch wenn sie selbst keine haben.

Nasher geht sogar noch einen Schritt weiter: „Je nach Situation sind wir alle Blender, mal mehr, mal weniger", sagt der Psychologe, der speziell deutschen Führungskräften ein verklemmtes Verhältnis zur positiven Selbstdarstellung attestiert. Viele blenden sogar zu wenig und berauben sich damit einer Chance: Denn der Optimismus, den eine gute Außenwirkung verbreitet, kann Energien freisetzen und so Erfolg erst ermöglichen. Der negativ belastete Begriff des Blenders wird damit immer diffuser: Zwischen Blendern und Nicht-Blendern kann nicht sinnvoll unterschieden werden. Personalentscheider stehen vielmehr vor der Aufgabe, gutes vom schlechten Blenden zu unterscheiden, die Fähigkeit, Können und Visionen nach außen zu tragen, von der betrügerischen Anmaßung vorgetäuschter Kompetenzen.

Service

Literaturtipps

  • Jack Nasher: Durchschaut. Das Geheimnis, kleine und große Lügen zu entlarven. Heyne, München 2010, 18 Euro. „Das war ich nicht", „Ich stand im Stau", „Die Rente ist sicher" – bis zu 200-mal am Tag werden wir belogen, sind aber nicht in der Lage, Lügen auch als solche zu erkennen. Jack Nasher zeigt, wie man Lügen anhand von Verhaltensbeobachtung durchschauen kann.
  • Jürgen Harksen, Ulf Mailänder: Wie ich den Reichen ihr Geld abnahm. Fischer, Frankfurt/M. 2007, 8,95 Euro. „Du gibst mir hundert, ich geb' dir tausenddreihundert zurück." – Mit diesem Versprechen machte der Millionenbetrüger Jürgen Harksen ein Angebot, dem die wenigsten widerstehen konnten. Er war ein wundersamer Geldvermehrer für die einen, ein schrecklicher Geldvernichter für die anderen. Die Autobiografie eines Hochstaplers.
  • Ulrich Jordan, Birgit Külpp, Ines Bruckschen: Das erfolgreiche Einstellungs-Interview. Potenziale für morgen sicher erkennen und gewinnen. Gabler, Wiesbaden 2012, 34,95 Euro. Fast die Hälfte aller neuen Mitarbeiter scheitern innerhalb der ersten 18 Monate. Jede Fehlbesetzung bedeutet Zeitvergeudung, Arbeitsausfälle, Mehrkosten und Imageverluste. Die Autoren stellen professionelle Interview-Techniken vor, um aussichtsreiche Kandidaten mit passenden Kompetenzen sicher zu identifizieren.
  • Sylvia Lipkowski: Mehr Schein als Sein – Der Halo-Effekt im Management. managerSeminare 123, Juni 2008, S. 20-27, www.managerseminare.de/MS123AR02 Wer einfache Erfolgsrezepte sucht, wird nur Illusionen finden – das ist die zentrale Botschaft, die Prof. Dr. Phil Rosenzweig mit seinem Buch „Der Halo-Effekt" an Manager und Führungskräfte richtet. Wie der Effekt funktioniert, welche Fallen insbesondere im Personalbereich lauern und wie man ihnen entgeht: managerSeminare hat nachgelesen.

Lügner entlarven

Wie man Kompetenzlügner entlarvt, mit dieser Frage hat sich Nasher in seinem Buch „Durchschaut" (s. Kasten links) beschäftigt. Bauchgefühl hilft dabei ebenso wenig wie Erfahrung. Im Gegenteil: Wer zu sehr auf seine Menschenkenntnis vertraut, dem fehlt die nötige Skepsis, Blender zu entlarven, ist sich Nasher sicher. Die fünf Methoden, die er vorstellt, basieren auf der genauen Beobachtung des Gegenübers, seiner Verhaltensweisen und eventueller Brüche darin: Zeigt der Gesprächspartner zum Beispiel eine auffällige Abweichung zu seinem sonstigen Verhalten oder passt der Gesichtsausdruck nicht zum Gesagten, sieht Nasher darin einen Hinweis, ihn bei einer großen oder kleinen Lüge erwischt zu haben. Auch bestimmte Emotionen, die an unpassender Stelle auftreten oder ein auffallend kontrolliertes Verhalten, sollten Personalentscheider stutzig machen (s. Kasten S. 40).

Ihren Verdacht können Führungsverantwortliche überprüfen, indem sie intensiv nachfragen: Lügner, so Nasher, können auf Rückfragen nicht schnell antworten, weil sie immer erst ihr Lügengebäude auf Konsistenz prüfen müssen. Fragen erhöht außerdem den Stress für Lügner, der sich zum Beispiel in extremer Verhaltenskontrolle äußern kann. Beobachtung allein genügt aber nicht, zumal Körpersprache nicht eindeutig ist: Für die meisten Gesten kann es mehrere Gründe geben. Außerdem zielt die Beobachtung vor allem auf Hochstapler und Lügner. Blender, die vor allem von sich selbst eingenommen sind, sind schwieriger zu entlarven.

Wie sich Unternehmen schützen

Um gute Selbstvermarkter von Schaumschlägern zu unterscheiden, hilft, was Siegl die Trichter-Methode nennt: Bei dieser Fragetechnik, die vor allem in Bewerbungsgesprächen eingesetzt wird, geht es darum, immer konkreter, immer kleinteiliger nachzubohren. „Wenn ein Bewerber einen Erfolg angibt, sollte man nachhaken: Wie ist der Prozess abgelaufen? Welchen Anteil hatte die Person daran? Was ist schiefgelaufen und was hat man daraus gelernt?", nennt Siegl ein Beispiel. Solche Fragen werden irgendwann zu komplex zum Lügen, Aufschneider verwickeln sich in Widersprüche. Außerdem, so Siegl, erfordern gute Antworten auf solche Fragen genau die Reflexionsfähigkeit, die Blendern in der Regel fehlt. Auch der Faktor Zeit erschwert das Lügen. Bewerbungsgespräche sollten daher auf mehrere Termine verteilt werden.

Wiederholte Gespräche sind auch lange nach der Bewerbung das sicherste Mittel, sich vor Blendern zu schützen: „Entscheidend, damit keine Blenderkultur aufkommt, ist aktives Feedback durch Führungskräfte", sagt Beraterin Siegl. Blender fordern es von sich aus nicht ein, aber ihre Vorgesetzten können damit steuernd eingreifen. Wenn sie etwa nach einem Meeting sagen, dass ein Beitrag dünn oder abgekupfert wirkte, wird sich der Blender überlegen, es ein zweites Mal zu tun. Zugleich setzen Führungskräfte so ein Zeichen für die anderen Mitarbeiter. Auch mit institutionalisierten Beurteilungsgesprächen können sich Unternehmen strukturell schützen.

Was bleibt, ist die Gefahr, dass Personalverantwortliche hören, was sie hören wollen. Und Opfer ihrer eigenen Vorstellungen und blinden Flecken werden: „Wenn eine Person souverän auftritt, einen guten Augenkontakt hält und eine positive Körpersprache mitbringt, wird sie immer Vorteile haben", beschreibt Jordan die Unvermeidlichkeit, mit der eine gute Selbstdarstellung wirkt. Muster und Wirkungen, deren sich Personalentscheider bewusst sein müssen. Um Blender zu entlarven, muss man sich also vor allem selbst kennen.