Wer trickst heute nicht?

managerSeminare, Heft 170, Mai 2012

Halo und die Hochstapler

Der mittellose, nur rudimentär ausgebildete Anlageberater Jürgen Harksen nahm zwischen 1986 und 1993 zahlreiche Millionäre aus, indem er behauptete, noch erfolgreicher zu sein als sie. „Harksen gab sich als Milliardär aus, der Probleme mit dem Fiskus hat und daher Geld leihen muss", berichtet der Persönlichkeitscoach Ulf Mailänder, der eine Biografie über den Betrüger geschrieben hat (s. Kasten S. 42). Seinen angeblichen Wohlstand bewies Harksen durch großspuriges Auftreten und Hallen voller Luxusautos, die er mit dem geliehenem Geld finanzierte. „So verschaffte er sich die Aura geschäftlicher Überlegenheit – und bekam von den beeindruckten Millionären immer mehr Geld regelrecht aufgedrängt", erzählt Mailänder. Ein millionenschwerer Kreislauf, der auch deshalb funktionierte, weil Harksen sich einen psychologischen Trick, oder besser gesagt einen mentalen Mechanismus zunutze machte: den Halo-Effekt.

Er beschreibt die menschliche Sehnsucht nach schlüssigen Weltkonzepten und sorgt dafür, dass eine positiv konnotierte Eigenschaft auf andere ausstrahlt wie ein Heiligenschein. Psychologen erklären den Effekt mit der Neigung des Hirns, Dinge zu vereinfachen: Unvereinbarkeiten führen zu kognitiven Dissonanzen – und werden ausgeblendet. Wenn wir jemanden zum Beispiel für schlau oder dumm halten, bewerten wir unwillkürlich auch jede seiner Handlung entsprechend. Beim Hochstapler Harksen war es sein angeblicher Reichtum als Milliardär, der alle anderen Eindrücke überstrahlte und ihn quasi unangreifbar machte. Der Glaube an seine wirtschaftlichen Fähigkeiten ging so weit, dass selbst haarsträubende Fehler, die Harksen in seiner Selbstdarstellungslüge unterliefen, ihn paradoxerweise noch glaubwürdiger machten. „Man dachte, wer so viel Erfolg hat, kann ja nicht alle seine Geheimnisse verraten", erklärt der Coach.

Blender im Business

Der Halo-Effekt ist auch der Grund, warum ein Doktor-Titel den unterstellten Wert von Aussagen erhöht, selbst wenn der Abschluss in einem anderen Fach erworben oder gar erschlichen wurde. Dasselbe passiert, wenn Recruiter von Eigenschaften, die sie mit Kompetenz assoziieren, auf weitere Fähigkeiten schließen. Das kann die richtige Universität sein, nach dem Motto: Wer einen Harvard-Abschluss hat, muss ja exzellent sein. Oder Stationen bei namhaften Arbeitgebern: Denn wer sich beim Branchenführer durchgesetzt hat, muss es auch woanders schaffen.

Blender im Business arbeiten mit ähnlichen Mitteln, wie es Harksen getan hat: Sie versprechen viel und beeindrucken durch Auftreten und Rhetorik. Der langjährige Personalchef Jordan hat das am eigenen Leib erfahren, als er am Anfang seiner Karriere auf einen Blender hereingefallen ist: „Es war ein Kandidat für einen Vertriebsposten, der sehr eloquent darstellen konnte, wie er Kunden gewinnen und halten wollte", erzählt Jordan. Der vermeintliche Volltreffer bekam den Job. „Schnell stellte sich heraus, dass er all das nicht konnte. Er tat gar nichts, außer Arztatteste einzuschicken." Solche massiven Lügner bleiben allerdings die Ausnahme. Verbreiteter ist ein anderer Typ Schaumschläger.

Tipps für Entlarver

Wer misstrauisch geworden ist, kann aktiv nachhelfen, dass sich Blender verraten. Die fünf Entlarvungstechniken können als vorbeugende Abwehrmaßnahmen eingesetzt werden.

  1. 1Trichterfragen: Wer sicher gehen will, dass Aussagen nicht erfunden oder übertrieben sind, sollte nachfragen. Und zwar so, dass der Fokus immer enger wird, wie genau also etwa ein Prozess im Detail abgelaufen ist und was der Anteil des Gefragten daran war. Ziel ist, mehr zu fragen, als ein Lügner in kurzer Zeit erfinden kann. Demselben Zweck dienen Zeitsprünge in den Fragen.
  2. Reflexfragen: Reflexfragen zielen darauf, eine Abweichung von der Baseline zu provozieren. Sie werden vor allem an bereits verdächtige Personen gerichtet und thematisieren das vermutete Vergehen. Einen Blender könnte man demnach zum Beispiel fragen, was er tun würde, wenn ihn ein Mitarbeiter über seine Kompetenzen angelogen hätte.
  3. Locken: Um wahre Antworte zu bekommen, ist die Atmosphäre wichtig. Der Gesprächspartner muss sich wohl fühlen, weil er sonst verkrampft. Druck aufbauen ist daher keine gute Lösung, um Lügner zu entlarven. Besser: Brücken bauen, Verständnis zeigen, Straffreiheit anbieten. Wichtig ist auch, sich als guten Entlarver hinzustellen. Lügen zuzugeben, muss so einfach gemacht werden, wie möglich.
  4. Prüfen: Unverzichtbar etwa bei Bewerbungen ist es, Referenzen wirklich zu prüfen: Originaldokumente sichten, ehemalige Arbeitgeber kontaktieren, Details von Arbeitsunterlagen prüfen wie Stempel, Handschrift oder die zum Ausstellungszeitpunkt geltende Rechtschreibung
  5. Selbstreflexion: Wer Lügner und Blender erkennen will, muss zunächst sich selbst kennen. Denn wer nicht weiß, auf welche Muster er anspringt – ein bestimmtes Auftreten, eine Art zu reden – der lässt sich immer wieder täuschen.

Quellen: Jack Nasher, Sabine Siegl, Ulrich Jordan

Blinde Blender

„Die wenigsten Blender schummeln bewusst oder geben vor sich selbst zu, dass sie sich zu gut darstellen", sagt BDP-Präsidentin Siegl. Die gefährlichsten Blender blenden sich selbst – ohne Täuschungsabsicht, sondern weil sie zu sehr von sich selbst überzeugt sind. Sie sind nicht kriminell wie die Hochstapler. Schaden anrichten können sie trotzdem, wovon zahllose Skandale der Wirtschaftsgeschichte zeugen.

Der französische Topmanager Jean-Marie Messier etwa galt um die Jahrtausendwende im der Börsenszene als großer Visionär, bevor er dem Medienkonzern Vivendi einen Verlust von mehr als 13 Miliarden Euro verursachte und wegen Veruntreuung verurteilt wurde. Auch Thomas Middelhoff wurde lange hofiert und für seinen strategischen Weitblick beim Umbau von KarstadtQuelle zu Arcandor mit hohen Prämienzahlungen belohnt. Kurz darauf war der Konzern pleite, die Staatsanwaltschaft ermittelte. Jürgen Schrempp war ebenfalls gefeierter Managementstar bis sein großspuriges Projekt einer Welt AG – bestehend aus Daimler, Chrysler und Mitsubishi – scheiterte und für den deutschen Autobauer fast das Ende bedeutet hätte.